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Leichte Sprache? Kann doch jeder! - Oder doch nicht?

Autorenbild: Andrea WelischAndrea Welisch

Aktualisiert: 19. Okt. 2022

Wir leben im Zeitalter von Tutorials und DIY. Das ist richtig, wichtig und nachhaltig. Und oft auch billiger, als eine Fachperson zu engagieren. Was fürs Heimwerken vom Bau des Hochbeets bis hin zum kompletten Camper-Ausbau gilt, kann man vermeintlich auch in viele andere Bereiche des Lebens übertragen. Bücher und Software zum Selbststudium einer neuen Sprache zum Beispiel sind seit jeher ein Dauerbrenner. Also sollte doch das selbe Prinzip auch für Themen der Barrierefreiheit in der Sprache anwendbar sein: Einfach ein Buch zur leichten Sprache gekauft, eine Checkliste im Netz durchgelesen und schon ist der barrierefreie Text fix selbst gemacht. Schließlich sagt es ja schon der Name: Leichte Sprache ist vor allem eins: Leicht! Leicht zu lesen und leicht zu verstehen, ja. Leicht zu schreiben und zu übersetzen? Nicht so ganz. Barrierefreiheit in der Sprache ist nichts, das man einfach mal so nebenbei macht. Und doch meinen viele Menschen, dass es hierzu kein geschultes Auge und keine große Anstrengung braucht. Dass man sich einfach mal hinsetzt und einen Text in leichte Sprache "übersetzt". Man ist ja der deutschen Sprache mächtig und deshalb macht man das "mal eben schnell" selber. Und im Internet findet man ja auch jede Menge Anleitungen.

Und genau diese (falsche) Einschätzung macht es so schwer diesen Gedanken im allgemeinen Bewusstsein zu verankern: Dass in der Tat viel mehr zum Thema Barrierefreiheit in der Sprache gehört. Dass es durchaus anspruchsvoll ist, Texte, Inhalte und im besten Fall auch die Seele eines Textes barrierefrei und zielgruppengerecht zu übertragen.


Niemandem sei eine böse Absicht unterstellt. Wir alle wissen, dass überall gespart wird bzw. gespart werden muss.

Und oft sind es dann die vermeintlichen "Randthemen", die hinten rüber fallen. (Warum Barrierefreiheit in der Sprache eigentlich selbstverständlich kein Randthema ist, sei Thema eines anderen Artikels.)


Nicht umsonst sprechen wir von Übersetzungs- oder Übertragungsarbeit.

Für leichte und einfache Sprache braucht man Skills und es gibt Regeln. Natürlich kann man diese Regeln lernen. Aus Büchern oder mit Checklisten aus dem Netz. Inzwischen gibt es sogar Tools, die versprechen, Texte automatisch zu prüfen und zu übersetzen.


Warum also braucht es dann noch Fachleute, die sich viel intensiver und im besten Falle ausschließlich mit der Thematik Barrierefreiheit in der Sprache befassen? Warum sollte man tatsächlich Geld in die Hand nehmen, um sich oder Mitarbeitende für leichte Sprache sensibilisieren zu lassen und die Grundlagen (oder mehr) zu lernen?

Weil Sprache und der Umgang mit ihr oftmals komplexer sind, als es den Anschein hat. Und weil auch leichte Sprache eine Seele hat und es nicht damit getan ist, Vokabeln aneinander zu reihen. Und auch, weil man ein noch so ausgefeiltes Übersetzungsprogramm niemals unbesehen und ungeprüft schalten und walten lassen sollte.

Und einmal von den lernbaren Fakten und Regeln abgesehen: Es gehört auch immer eine gehörige Portion Empathie zu einer guten Übersetzung in leichte bzw. einfache Sprache. Einfühlungsvermögen und das Verständnis für die Zielgruppe sind unabdingbare Faktoren für erfolgreiche und ansprechende Übersetzungen.

Nicht zuletzt deshalb ist auch ausnahmslos eine intensive Prüfgruppenarbeit integraler Bestandteil einer seriösen Übersetzung in leicht verständliche Sprache. In einer Prüfgruppe sind immer Menschen der jeweiligen Ziel-Sprachstufe vertreten. Sie prüfen stellvertretend für die späteren Leserinnen und Leser Texte auf Verständlichkeit und Zugänglichkeit. Und natürlich gibt es auch für diese Prüfgruppenarbeit klare Regeln. Man sieht: Für jemanden, der nur nebenbei mal in eine leicht verständliche Sprache übersetzt ist es gar nicht so leicht, die oben genannten Qualitätskriterien für leichte und einfache Sprache zu erfüllen.


Fazit: Ebenso wie man eine neue Sprache, ein Musikinstrument oder das Zeichnen lernen und üben muss – bei leicht verständlicher Sprache verhält es sich ganz genauso. Man muss es lernen, üben und regelmäßig anwenden und eng mit den Zielgruppen vernetzt sein, um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. PS: Und seien wir mal ehrlich - wie viele Sprachen hat der Durchschnittsmensch in seinem Leben im Selbststudium erlernt... ;)


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